Hineinschnuppern in den orthopädischen Praxisbetrieb

Ehringshausen. »Sei mein Gast«, so hieß ein Förderprogramm der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), das jungen Ärztinnen und Ärzten ein Hineinschnuppern in den Praxisbetrieb ermöglichte. Die Gießener Ärztin Julia Ketteler hospitierte 2020 in diesem Rahmen vier Monate in der orthopädischen Praxis Dr. Springmann. Ein Interview über den ärztlichen Beruf, die Ausbildung und die Arbeit in einer Facharztpraxis »auf dem Land«.

Die Gießener Ärztin Julia Ketteler in der orthopädischen Praxis in Ehringshausen
Frau Ketteler, Sie schauen zurück auf vier Monate in der orthopädischen Praxis in Ehringshausen. Wie haben Sie diese Zeit erfahren?

Rückblickend betrachtet bin ich sehr froh, dass ich das Programm der KV ausgerechnet hier wahrnehmen konnte. Es war ein guter Einstieg, um den medizinischen Praxisbetrieb hautnah zu erleben. Ich hatte ja mein Praktisches Jahr in einer großen Klinik absolviert. Und ich muss sagen, dass sich die Arbeit in einem großen Krankenhaus oft doch ziemlich von der Tätigkeit in einer fachärztlichen Praxis unterscheidet. 

Das von Ihnen erwähnte Praktische Jahr ist ein wichtiger Ausbildungsbestandteil für angehende Mediziner. Wo sehen Sie aus dieser Erfahrung heraus die größten Unterschiede zur alltäglichen Arbeit in einer Facharztpraxis? 

Das Praktische Jahr muss ja in drei Fachbereichen absolviert werden. Man lernt sehr viel und man lernt sehr schnell. Im Krankenhaus hat man oft wenig Zeit für Einzelfälle und man wird auch schon mal ins kalte Wasser geworfen. In einer großen Klinik gibt es zudem viele herausfordernde Notfall-Behandlungen, während in der niedergelassenen Praxis nur selten Notfälle ankamen. Die Arbeit in großen Häusern ist auch oft geprägt von einer gewissen Hierarchie. Da gibt es das typische Gefälle vom Chefarzt über die Oberärzte und Assistenzärzte bis hin zur Pflegekraft. Oft ist es so, dass Klinik-Chefärzte immer mit Titel angesprochen werden müssen. Hier in der Praxis hingegen gab ein unheimlich stark sich selbst stützendes Team. Im täglichen Umgang spielte etwa der Titel überhaupt keine Rolle, alle sprachen sich mit dem Vornamen an. Dieses Teamgefühl, dieses echte Miteinander, nicht nur fachlich, sondern auch menschlich, das hat mir schon extrem gut gefallen. Und dann gab es hier für mich, bedingt durch das KV-Programm, eine echte 1:1-Betreuung durch den Praxisinhaber Dr. Springmann. Das Umfeld war insgesamt ruhiger als im Krankenhaus. 

Kann denn eine Facharztpraxis auf dem Land fachlich mit einer großen Klinik mithalten – oder anders gefragt: haben Sie nicht die medizinische Herausforderung vermisst?

Das kann ich so allgemein nicht sagen. Natürlich ist es für junge Mediziner gut, die unterschiedlichsten Fälle zu sehen und ich finde daher, dass man am Beginn im Krankenhaus auch am besten aufgehoben ist. Aber ausgerechnet in der Praxis Dr. Springmann gab es ebenfalls ein sehr vielfältiges Spektrum. Georg Springmann betreut seit Jahren die Handballmannschaft des TV Hüttenberg, immerhin ein Bundesliga-Verein. So etwas spricht sich unter Sportlern herum und daher habe ich in den vier Monaten auch einige nicht alltägliche Krankheitsbilder aus dem Sport gesehen. Zudem operiert er ja auch als Belegarzt im Kaiserin-Auguste-Victoria-Krankenhaus in Ehringshausen und er hat eine Berechtigung zur Ausbildung von Fachärzten im Bereich Orthopädie/Unfallmedizin. Thematisch konnte ich hier insgesamt tief eintauchen und vieles lernen. In erster Linie aber war und ist mir die Arbeit mit den Menschen wichtig. Jeder Mensch verdient Aufmerksamkeit, egal, ob es um komplizierte oder um vergleichsweise kleine Fälle geht. Ich finde es unheimlich schön zu sehen, wenn jemand, den man behandelt hat, schließlich geheilt ist. Man konnte der Person helfen, das allein zählt für mich als Medizinerin. 

Das klingt danach, als hätten Sie Ihren Traumberuf gefunden. Wollten Sie schon immer Ärztin werden?

Überhaupt nicht. Mein Berufswunsch war lange Zeit Meeresbiologin, obwohl meine Eltern beide im medizinischen Bereich tätig sind. Allerdings bin ich jetzt froh, dass ich Ärztin wurde. Ja, der Beruf erfüllt mich wirklich.

Warum haben Sie sich denn für die Fachrichtung Unfallchirurgie entschieden?

Ich dachte immer, Innere Medizin wäre mein Ding. So bin ich auch durch das Studium gegangen. Vor allem das Fachgebiet Kardiologie fand ich extrem spannend. Aber in meinem Praktischen Jahr in Bremerhaven habe ich dann gemerkt, dass das Operieren und die nötige Fingerfertigkeit mich total ansprechen. Ich tue eben gerne etwas mit meinen Händen, am und für den Patienten. Die tätige Chirurgie liegt mir viel mehr, als etwa aufgrund von Diagnosen Medikamente zu verschreiben.

Und wie kamen Sie auf die Praxis Dr. Springmann?

Mir hat die Ausrichtung auf sportmedizinische Fälle sehr gut gefallen. Ich habe schon immer viel Sport gemacht, also das war mir wirklich von Anfang an sehr sympathisch, noch ehe ich das Praxisteam kennenlernte.

Wie sah eigentlich die tägliche Arbeit in der Praxis aus?

Dr. Springmann und ich haben uns zusammen die Patienten angeschaut. Ich bekam nicht nur 1:1 gezeigt, wie ich Patienten untersuche, sondern ich war auch bei sehr vielen Behandlungen live dabei. Das ist hier in einer Facharztpraxis doch anders als in einer Klinik, sowohl von den Fällen her als auch von der Zeit, die zur Verfügung steht. Ich war sogar mit bei der Mannschaft des Handball-Bundesligisten TV Hüttenberg. Außerdem haben wir Diagnosen gestellt, MRT-Bilder angeschaut, Überweisungen geschrieben. Und es musste natürlich auch weitere Schreibarbeit erledigt werden. In alle Bereiche der Arbeit eines niedergelassenen Facharztes konnte ich hineinschnuppern.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Ich werde meine Doktorarbeit beenden und meine Facharzt-Ausbildung weiterführen. Ich möchte mein Wissen und meine Fähigkeiten weiter ausbauen, noch mehr lernen, um den Menschen bestmöglich helfen zu können. 

(mhi)